Der Spiegel - 17 Jun 09

Prof. Robert B. Laughlin
Department of Physics
Stanford University, Stanford, CA 94305

http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,630981,00.html
(Copied 16 Dec 09)


Wüstenstrom: Die Sonne Über der Sahara Löst das Energieproblem

Von JENS LUBBADEH
17. Juni 2009

Hochspannungs-Gleichstrom-Leitungnetz: *Uuml;ber eine Distanz von 3000 Kilometern müsste der Wüstensrom nach Europa transportiert werden. - DESERTEC

Unerschöpflicher Strom aus der Wüste Nordafrikas, klimafreundlich erzeugt von gigantischen Spiegelkraftwerken. Deutsche Firmen wollen diese Vision Wirklichkeit werden lassen - doch noch sind einige Hürden zu nehmen.

Jeder, der einmal mit einer Lupe Löcher in Papier gebrannt hat, versteht das Konzept sofort: Gebündelte Sonnenstrahlen sind konzentrierte Energie. Denselben Effekt kann man auch mit Parabolspiegeln erreichen, um Wasser zu erhitzen und mit Dampf Turbinen anzutreiben, die wie ein Fahrraddynamo Strom erzeugen.

Solarthermie nennt man diese Form der Energiegewinnung, oder auch Concentrated Solar Power (CSP). Nicht zu verwechseln mit Photovoltaik, die mit Solarzellen arbeitet, welche aus Sonneneinstrahlung direkt Strom erzeugen.

Um mit Spiegeln Strom zu erzeugen, muss man dahin gehen, wo die Sonne ständig scheint: nach Nordafrika, in die Sahara. Dort regnet es förmlich Energie - ungenutzt. "In sechs Stunden geht auf die Wüsten der Erde so viel Sonnenenergie nieder, wie die gesamte Menschheit innerhalb eines Jahres verbraucht", sagt Gerhard Knies. Er hat das Desertec-Konzept mit entwickelt, seit Jahren k�mpft er mit Gleichgesinnten für seine Vision. Und die geht so: In der Sahara baut man riesige Spiegelkraftwerke, erzeugt umwelt- und klimafreundlich Strom und exportiert ihn.

"Es ist die Lösung unseres Energieproblems", sagt Knies.

Wenn Gerhard Knies seine Vision präsentiert - und er hat dies in den vergangenen Jahren oft getan - beobachtet man unter den Zuhörern meistens immer die gleichen Reaktionen: Faszination. Dann Sprachlosigkeit. Und dann eine immer wiederkehrende große Frage:

Warum tut man es nicht einfach?

"Schon in den achtziger Jahren hat man Solarthermie-Kraftwerke in den US-Bundesstaaten Kalifornien und Nevada gebaut", erz�hlt Hans Müller-Steinhagen vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Er hat im Jahr 2005 das Desertec-Konzept auf Machbarkeit geprüft und genauere Kostenkalkulationen angestellt. "Die Kraftwerke waren eine Reaktion auf die ersten beiden Ölkrisen."

Die Kraftwerke laufen heute noch - ohne Probleme. Aber sie sind in Vergessenheit geraten. "Öl wurde nach den Ölkrisen wieder gnadenlos billig, keiner interessierte sich danach mehr für Solarthermie", sagt Müller-Steinhagen.

Die goldenen Zeiten sind vorbei, der Ölpreis steigt unaufhörlich, die Reserven gehen zur Neige. Auch bei der Kohle sehen Experten den Zeitpunkt der maximalen Förderung bald erreicht.

Nun offenbar ist die Zeit des Handelns gekommen: Ein Konsortium von 20 deutschen Firmen hat sich zusammengetan, um Desertec zu verwirklichen. Es sind keine Start-ups, keine Mittelst�ndler, sondern Schwergewichte der deutschen Wirtschaft: Die Deutsche Bank, die Münchener R�ck, Siemens und RWE wollen in die Wüstensonne investieren. Und es ist anzunehmen, dass weitere große Energieproduzenten ebenfalls mit an Bord sind.

Will Man Sich Wirklich von Nordafrika Abhängig Machen?

Das Ziel: 15 Prozent des gesamteuropäischen Strombedarfs sollen bis zum Jahr 2050 solarthermisch erzeugt werden. Die Gesamtkosten dafür belaufen sich laut DLR-Kalkulation auf 400 Milliarden Euro. Nicht pro Jahr, sondern bis zum Jahr 2050. Allerdings nicht inflationsbereinigt - die Endsumme wird höher ausfallen.

2. Teil: Ängste vor europäischem Neo-Kolonialismus

"Schauen Sie sich an, von wem wir derzeit abhängig sind", entgegnet DLR-Experte Müller-Steinhagen. "Wir beziehen unser Erdgas aus Russland. Ist das eine bessere Situation?" In der Vergangenheit hat Russland immer wieder seine Macht ausgespielt, damit gedroht, den Gashahn zuzudrehen. Und auch die Ölkrisen der siebziger Jahre haben gezeigt, wie abhängig die ganze Welt von den Opec-Staaten ist.

Außerdem gehe es nicht um 100, sondern um 15 Prozent der Stromversorgung, sagt M&uumol;ller-Steinhagen. Der Rest m&uiuml;sse irgendwann aus erneuerbaren heimischen Energien kommen. "Unser Konzept wird zu einer Verringerung der Energie-Abhängigkeit führen. Mit Desertec erhöhen wir die Zahl unserer Energielieferanten."

Vertrauen muss also her. Keine leichte Aufgabe, auch auf nordafrikanischer Seite gibt es Skepsis. Man fürchtet einen europäischen Neo-Kolonialismus - diesmal im Energiesektor. Eine unbegründete Sorge, meint Franz Trieb vom DLR. Er hat zusammen mit Müller-Steinhagen Desertec geprüft. Bei dem Vorhaben geht es um mehr als nur einen Stromexport nach Europa. "Das Konzept sieht vor allem vor, dass die Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens ihren wachsenden Strombedarf auf nachhaltige Weise decken", sagt er.

Desertec ist Auch Eine Nachhaltige Entwicklungshilfe

Man kann Desertec also auch als eine Art nachhaltiger Entwicklungshilfe sehen: Europa steuert sein Know-how bei, damit diese Staaten ihre Ressource - Sonnenstrahlung - zu sauberem Strom veredeln. Alle hätten etwas davon: Die nordafrikanischen Staaten würden ihre Energieversorgung sichern, ohne die umweltpolitischen Fehler der Europäer und Amerikaner zu wiederholen. Sie könnten dringend benötigtes Trinkwasser mit dieser Energie erzeugen. Und sie hätten ein wertvolles Exportgut. Es wäre für Nordafrika eine echte Chance für Wohlstand. Gleichzeitig würden auch politisch stabilere Verhältnisse einkehren, so die leise Hoffnung der Desertec-Leute.

Startprojekte gibt es jetzt schon: In Marokko, Ägypten und Algerien werden derzeit Solarthermie-Kraftwerke gebaut, allerdings sind es kleine Anlagen mit 15 bis 30 Megawatt Leistung. Im sonnenreichen Süden Spaniens sind schon vier in Betrieb, eines davon erzeugt 50 Megawatt und kann 200.000 Menschen versorgen. Und auch in den USA gibt es echten "change" im Energiesektor: Die westlichen US-Bundesstaaten New Mexico, Nevada und Kalifornien planen Kraftwerke mit einer Kapazität von insgesamt fünf Gigawatt. Präsident Barack Obama ist an Solarthermie stark interessiert und rennt damit bei Weststaaten-Gouverneuren wie Arnold Schwarzenegger offene Türen ein, die schon zu Bush-Zeiten auf Solarthermie setzen wollten. Für die USA jedenfalls wäre die Umrüstung auf eine solare Energieversorgung noch viel einfacher als für Europa, Wissenschaftler haben bereits einen "Great Solar Plan" entworfen.

Technologisch hat Solarthermie noch viel Potential, sagt Müller-Steinhagen: Der Wirkungsgrad eines Sonnen-Kraftwerks liegt derzeit bei 16 Prozent - im Jahresmittel. Heutige Kohlekraftwerke sind im Vorteil, sie schaffen 40 Prozent. Aber sie haben auch einen enormen Vorsprung: "Kohlekraftwerke gibt es seit 150 Jahren", sagt Müller-Steinhagen. "Anfangs lag ihr Wirkungsgrad bei fünf Prozent." Solarthermie wird noch effizienter und billiger werden - da sind sich die Experten sicher.

Ab 2020 Wird Solarer Strom Wettbewerbsfähig Sein

Und das Leitungsnetz? Schließlich muss der Strom durch 3000 Kilometer lange Kabel bis nach Europa geleitet werden. Das geht wirtschaftlich nur mit Hochspannungs-Gleichstromleitungen. Mit Wechselstromleitungen, wie sie derzeit im europäischen Netz vorhanden sind, würde knapp die Hälfte des Stroms beim Transport verlorengehen.

Hochspannungs-Gleichstrom-Leitungstechnik ist auch erprobt und bewährt. "Siemens baut zurzeit in China eine 2000 Kilometer lange Leitung", erzählt Müller-Steinhagen. "Sie hat sieben Prozent Verlust auf dieser Strecke." 50 Milliarden Euro veranschlagen die DLR-Techniker nur für den Aufbau des neuen Fernleitungsnetzes. Aber es wäre eine ohnehin erforderliche Investition - unabhängig von Desertec: "Europas Stromnetz ist einfach nicht effizient genug", kritisiert Müller-Steinhagen.

Etwa 20 Leitungen müssten von Nordafrika nach Europa gelegt werden, jede bes��e fünf Gigawatt Leitungskapazität. Sie würden auf verschiedenen Routen durchs Mittelmeer führen, über Gibraltar, Sizilien, Sardinien und Istanbul. Neuralgische Punkte, denn würden Terroristen sie kappen, könnten sie Europa empfindlich treffen. "Und wer sichert die Erdgas-Pipelines aus Russland?", fragt Müller-Steinhagen zur�ck. Das Problem sei nicht neu. "Ich denke, Stromkabel auf dem Grund des Meeres sind relativ sicher dort."

Mitte Juli wird es wirklich spannend, denn dann wird sich das noch rein deutsch besetzte Firmenkonsortium zusammensetzen und das Konzept weiter ausarbeiten. Man hofft, noch weitere Investoren aus ganz Europa zu gewinnen. Für die Firmen entscheidend ist ein Einspeisetarif der Länder für den Wüstenstrom, eine Garantie, dass diese den Strom über einen langen Zeitraum f�r eine bestimmte Summe pro Kilowattstunde kaufen. Doch derzeit ist solarthermisch erzeugter Strom noch teurer als der aus fossilen Energiequellen.

Und hier liegt eine der Hürden, wie Müller-Steinhagen sagt: Diese Differenz kann man nicht den nordafrikanischen Staaten aufbürden. "Den müssen die Investoren zahlen oder die Staaten über FOouml;rdermechanismen zuschießen."

Doch bald dürfte sich das Problem ohnehin erledigt haben: Spätestens 2020 wird solarthermischer Strom mit fossil erzeugtem preislich gleichziehen, sch�tzen die DLR-Leute. Und sp�testens ab dann kann man Geld mit der Wüstensonne verdienen. Und zwar unbeschwert, ohne auf alarmierend steigende Preiskurven schielen zu müo;ssen. Denn im Gegensatz zu Kohle oder Öl muss Sonnenschein nicht aufwendig gefördert werden. Ihn gibt es gratis.